02.07.2019 12:09
von Sabrina Durante

Wie Spiritual Care im Kantonsspital Aarau Fuss fasst

«Oft fehlen die Worte»

Dr. Andrea Capone Mori, Leitende Ärztin Neuropädiatrie am Kantonsspital Aarau, hat den allerersten Spiritual Care-Lehrgang im Lassalle-Haus besucht und engagiert sich seit Jahren, damit Spiritual Care ein Teil der Spitalkultur wird.

 

Am Kantonsspital Aarau besteht schon seit 2014 eine Arbeitsgruppe, die sich mit Spiritual Care befasst – ist Ihr Spital ein Pionier in diesem Gebiet?

2014 ist vergleichsweise nicht sehr lange her – am CHUV in Lausanne ist Spiritual Care schon länger etabliert und ganz anders integriert als bei uns. Dort steht es unter der Ägide der Seelsorge und das ganze Personal ist für das Thema sensibilisiert. Dann gab es bereits vor Jahren ein Nationalfonds-Projekt rund um Spiritual Care im Bereich Onkologie/Palliativmedizin am Kantonsspital Baden. Spiritual Care ist bei uns ein Thema, aber eine Vorreiterrolle haben wir nicht.

Was sind die grössten Herausforderungen, damit Spiritual Care in einem so grossen Spital Fuss fassen kann?

Um einen Kulturwandel zu erreichen, so dass Spiritual Care in die Spitalkultur integriert wird, braucht es einen langen Atem. Wir reden hier von Jahren, wenn nicht Jahrzehnten.
In einem so grossen Haus ist Spiritual Care nur eines von vielen wichtigen Themen. Spitäler stehen allgemein unter einem grossen politischen und wirtschaftlichen Druck. Bei allem, was wir tun, stehen die Fragen nach dem Nutzen und der Messbarkeit im Zentrum. Eine der grössten Herausforderungen ist es, diesem Thema überhaupt Raum zu geben. Durchs Band hindurch sind die zeitlichen Ressourcen knapp, die administrativen Tätigkeiten nehmen zu, für Ärzte und Pflegende bleibt weniger Zeit am Krankenbett. Ausserdem werden die Spitalaufenthalte immer kürzer – um aber existentielle oder spirituelle Nöte anzusprechen, muss zuerst eine Vertrauensbasis zwischen PatientInnen und Betreuenden aufgebaut werden. Dafür sind die PatientInnen oft einfach zu wenig lange hier.

Wie steht die Belegschaft dazu? Gibt es Unterschiede bei den Ärzten, Pflegenden, Seelsorgenden?

Es ist eine grosse Offenheit da. Die Mitarbeitenden in allen Bereichen spüren, dass hier Bedürfnisse bestehen, die durch die medizinische Betreuung nicht immer genügend abgedeckt sind – vor allem bei Patienten, die eine schwere existentielle Krise durchmachen. Was aber auf beiden Seiten oft fehlt, sind die Worte: Wir leben in einem säkularen Umfeld und sind es nicht mehr gewohnt, über die spirituelle Dimension des Lebens nachzudenken oder zu reden. Viele Mitarbeitende haben jedoch eine gute Grundhaltung und spüren intuitiv, wenn es für die Patienten «ans Lebendige» geht.

Seit wann ist Spiritual Care für Sie persönlich ein Thema?

Seit ca. 2008-2010 in der Fachpresse die ersten Publikationen dazu erschienen sind. Allerdings beschäftigen mich die Fragen nach dem Sinn des Lebens, speziell im Angesicht von schwerer oder chronischer Krankheit oder bei einer schweren körperlichen/geistigen Behinderung, schon seit dem Studium und die Fragen vom guten Umgang mit Sterbenden begleiten einen als Arzt/Ärztin während des ganzen Berufslebens. Für mich ist die spirituelle Dimension eine der grundlegenden Dimensionen des Menschseins – und der Gesundheit.

Sie haben einen der ersten Spiritual Care-Lehrgängen im Lassalle-Haus absolviert: wie schlägt sich das Gelernte in Ihre Arbeit nieder?

Der Lehrgang hat mir geholfen, Worte zu finden, um spirituelle Nöte, aber auch mögliche Ressourcen für die Krankheitsbewältigung anzusprechen. Dies schlägt sich in meiner Grundhaltung nieder, wie ich Patienten und Familien begegnen, und ich kann bewusster die spirituelle Dimension in eine ganzheitliche Betreuung einfliessen lassen. Wichtig ist mir auch, die Mitarbeitenden im Spital durch Referate oder Workshops für das Thema zu sensibilisieren und interprofessionelle Gesprächsgruppen zu bilden.

 

 

Lehrgang Spirtual Care

Lehrgang Spiritual Care
Medizin und Spiritualität in Gesundheitsberufen
Oktober 2019 - September 2020

Der spirituelle Aspekt des menschlichen Lebens kann als integrierende Komponente verstanden werden, welche die physische, die psychische und die soziale Dimension verbindet und zusammenhält. Spiritual Care will die unterschiedlichen Lebenseinstellungen und Weltanschauungen beachten und spirituelle Bedürfnisse angemessen einbeziehen in die Pflege und Begleitung von Menschen in Krankheit, Trauer und Sterben. Der Lehrgang Spiritual Care richtet sich an alle professionell in den verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens Tätigen (Pflege, Medizin, Psychotherapie, Soziale Arbeit, Seelsorge u.a.), welche die spirituellen Dimensionen in den Praxis-Alltag integrieren möchten.
Infoveranstaltung: aki Zürich, 21.8.2019, 19 Uhr

 

 

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