18.06.2019 09:13
von Sabrina Durante

Erfahrungsbericht Langzeitgast

Ora et labora - bete und arbeite im Lassalle-Haus

Während drei Monaten hatte ich die grosse Chance, als Langzeitgast im Lassalle-Haus mit zu leben, mit zu arbeiten und mit zu beten. Wir Langzeitgäste arbeiten pro Tag vier Stunden in einem der drei Bereiche Küche, Hauswirtschaft oder technischer Dienst mit, drei Stunden verbringen wir mit meditieren und / oder beten. Nebst der Teilnahme an den täglichen Gottesdiensten oder Eucharistiefeiern meditieren wir je morgens und abends eine Stunde, mittags eine Viertelstunde. 

Den Sinn der Arbeit entdecken

«Ora et labora» ist die noch heute gelebte Formel der Benediktinermönche. Sie passt auch zu meiner Erfahrung im Lassalle-Haus, wo ich versuchte, Arbeit sowie Freizeit in einer wachen Präsenz, eben achtsam zu verrichten und zu erleben. In der vielfältigen Literatur über Zen- oder Achtsamkeitsmeditation wird diese Form der Präsenz immer wieder beschrieben. Und wir alle wissen, dass sie nicht immer einfach ist – das war auch meine Erfahrung als Mitarbeiterin in der Hauswirtschaft. Es war nicht unbedingt der Bereich, den ich mir gewünscht hätte. Zimmer, WCs und Duschen putzen, Treppenhäuser, Böden wischen und aufnehmen, staubsaugen, abstauben, Spinnweben entfernen und dergleichen gehören nicht zu meinen Lieblingstätigkeiten. Umso erstaunlicher, dass mich gerade diese Tätigkeit zum Philosophieren und Nachdenken, manchmal zum Meditieren verleitete. Da kam mir eines Morgens bei der Reinigung der roten Halle der Gedanke: was spielt es letztlich für eine Rolle, was ich tue? Ob ich ein therapeutisches Gespräch führe oder die schönen Jurakalkplatten in der Roten Kapelle reinige, ob ich an einer Sitzung teilnehme oder koche, einen Vortrag halte oder einen Kranken pflege, macht letztlich keinen Unterschied. Hauptsache ist, in der Arbeit, die man verrichtet, einen Sinn für sich zu entdecken. Wie Gilles Jobidon, ein kanadischer Schriftsteller in seinem Buch «La route des petits matins» einen jungen Teehändler auf dem Schwarzmarkt im Vorkriegs-Vietnam zu Wort kommen lässt, der eigentlich lieber hätte studieren wollen: «Ce n'est pas parce que l'on ne fait pas ce que l'on aime qu'on ne doit pas aimer ce que l'ont fait Das heisst: «Nur weil man nicht tun kann, was man liebt, heisst das nicht, dass man nicht lieben kann, was man tut.»

Ein wahrer Satz, der mich mit den Menschen verbindet, die keine Wahl haben im Leben, das zu tun, was sie sich wünschen. Wie etwa A. in der Küche, der Abwascher aus Eritrea. Macht er seine Arbeit gerne oder macht er sie nur, weil er keine andere Wahl hat? Was mir an ihm auffällt, ist sein Lächeln, wenn wir uns grüssen. Da geht für einen kurzen Moment die afrikanische Sonne auf – «ein Lächeln lang». Und all diese Gedanken verschwinden - das Jetzt ist da.

Von Herzen und Wurzeln

So wie A. aus Eritrea haben im Lassalle-Haus fünfundzwanzig Mitarbeitende nebst ihrem Wohnort in der Schweiz Wurzeln in einem anderen Land, sei’s dass sie selber in die Schweiz immigriert sind oder ihre Eltern, oder dass sie für eine gewisse Zeit im Ausland gelebt haben. Auf den ersten Blick kann man sagen, dies sei eine reiche kulturelle Vielfalt unter den Mitarbeitenden, eine interessante Vielfarbigkeit. Jedoch frage ich mich, die ich selber fünfzehn Jahre in Kanada gelebt habe, wie viele Herzen von den Lassalle-Haus-Mitarbeitenden noch in einem andern Land verwurzelt sind, wie oft sich diese Herzen zerrissen fühlen aus Heimweh, aus Sorge um alternde oder kranke Eltern im fernen Land, die man nicht einfach schnell besuchen kann, um ihnen beizustehen. Oder die sich um Geschwister sorgen, die es schwer haben. Die Feiern, Hochzeiten, Geburtstagsfeste verpassen oder sogar an Beerdigungen nicht teilnehmen können, da sie beruflich verhindert sind. Hinter dem sympathischen Lächeln all dieser Menschen erkennt man diesen Schmerz nur manchmal – in einem unbeobachteten Augenblick sieht man die traurigen Augen und ahnt etwas von all dem Abwesenden in diesen Herzen.

 

Eine Lektion in Gleichmut

Zurück zu meiner Arbeit in der Hauswirtschaft. Manchmal denke ich beim Putzen nach, manchmal lamentiere ich innerlich, manchmal bin ich einfach müde, da die Arbeit körperlich anstrengend ist. Ich frage mich, wie das die Hauswirtschaftsfrauen machen, die nichts anderes tun, tagein tagaus, seit Jahren. Und immer haben sie ein Lächeln, ein liebes Wort, wenn man ihnen begegnet. Mit gewissen Gegebenheiten oder Ungereimtheiten gehen sie um, ohne sich zu beklagen. Sie scheinen ihre Arbeit gerne zu tun. Ich bewundere sie und ihren Gleichmut. Mit der Zeit fällt mir auf, dass sie viel mehr Gelassenheit ausstrahlen als ich, die ich seit über zwanzig Jahren Zen übe. Bei Niklaus Brantschen habe ich gelernt: «Nichts wollen, und das von ganzem Herzen». Beim Putzen habe ich ebenso Zeit, darüber zu meditieren wie im Zazenkai.

Diejenigen, die das Lassalle-Haus kennen, wissen, wie verwinkelt es gebaut ist und dass es einige Zeit braucht, bis man sich in den verschiedenen Treppenhäusern, Auf- und Zugängen orientieren kann. So suchte ich am Anfang den richtigen Lift, um mit dem Putzwagen in die zu reinigenden Stockwerke zu gelangen. Am Schluss suchte ich die Steckdosen, um die Rillen zum Lifteingang mit dem Staubsauger zu reinigen. Mir geht auf, dass jeder Lernprozess so geschieht: vom Gröberen zum Feineren. Auch jeder Wahrnehmungsprozess vollzieht sich ähnlich. Wie Bruno Brantschen in den Exerzitien sagte: «Betrachte die Natur, einfach so, zum Beispiel einen Baum, seinen Stamm, das Geäst, das Blatt und sogar das Loch, das die Blattlaus heraus gefressen hat». So dringe ich immer tiefer und umfassender ein in die Geheimnisse des Putzens im Lassalle-Haus.

Duschen reinigen: Genauigkeit, Gelassenheit und Geduld

Zum Beispiel die Duschen, diese schönen, modernen Duschen mit den Glas-Schiebetüren, 68 auf 78 cm gross. Natürlich muss man hinein stehen, um besagte Glastüren von innen zu putzen. Und nicht vergessen, man ist komplett angezogen, inklusive Schuhe. Eigentlich müsste ich mich mit meiner Grösse von 175 cm dreimal zusammenlegen, um es gut zu machen, doch der Platz ist beschränkt… Einschäumen, nachspülen, abtrocknen bis kein Wassertropfen, auch kein getrockneter mehr zu sehen ist. B. sagte mir stolz, sie hätte fünf Minuten dafür. Am Anfang hatte ich wohl zwanzig, mittlerweile sind es zehn Minuten pro Dusche. Wenn am Schluss alles blitzblank ist und ich aufstehe und ungeschickterweise mit dem Ellbogen an den Wasserhahn komme, dann braust das Wasser wieder los, meine Kleider und Schuhe sind nass, die Dusche auch, und so das Ganze nochmals schön nachtrocknen. Wie beim ignatianischen Beten macht man eine Erfahrung, reflektiert darüber, um die Erfahrung zu integrieren, daraus zu lernen und dies mit den drei G’s: Genauigkeit, Gelassenheit und Geduld. So habe ich es in den Exerzitien gelernt. Und auch beim Putzen besagter Duschen.

So wird die Formel «Ora et labora» oder «Lebe den Augenblick» zur Herausforderung.

Ursula K.

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