24.10.2019 15:05
von Sabrina Durante

Im Gespräch mit Prof. Lydia Maidl, Theologin und Dozentin für Spiritualität und Spiritual Care

Spiritual Care setzt an, wo sich existentielle Fragen stellen

Wie sind Sie als Theologin zum Thema Spiritual Care gekommen?

Spiritualität als Thema hat mich durch mein gesamtes Studium begleitet. Mir war immer klar: Theologie muss auf die Fragen der Menschen antworten. So war ich auf der Suche und stiess auf Spiritual Care: Mir scheint es überaus wichtig, präsent zu sein, wo sich diese existentiellen Fragen unausweichlich stellen, sowohl den Menschen in Krise und Krankheit als auch den professionell Begleitenden! Vor drei Jahren nahm mich Prof. Eckhard Frick als Theologin bereitwillig in dieses Arbeitsfeld hinein.

Sie unterrichten in den ersten zwei Modulen des Spiritual Care-Lehrganges im Lassalle-Haus: Was ist bei der breiten Zusammensetzung der Teilnehmenden für den Einstieg in dieses Gebiet wichtig?

Grundsätzlich bringen die Teilnehmenden eine gewisse Neugierde oder auch Sehnsucht mit, die spirituelle Dimension in das eigene Arbeits- und Handlungsfeld einzubringen. Die Vielfalt der Motive, diesen Lehrgang zu besuchen, widerspiegelt, wie breit Spiritualität und spirituelle Suche in unserer Gesellschaft zu verstehen sind, und ist daher eine Chance. Das zweite Modul ist der spirituellen Biografie gewidmet. Hier werde ich vermehrt auf die einzelnen Menschen eingehen können.  Für mich ist es ein «work in progress», in dem die Einzelnen entsprechend ihrer Voraussetzungen und Bedürfnisse Impulse und Unterstützung erhalten.

Im Arbeitsbereich von Spiritual Care sind nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Betreuenden Krisensituationen ausgesetzt. Wie lernt man, die richtige Haltung in solchen Situationen zu finden?

In Krisensituationen, gar wenn es um Leben und Tod geht, stellt sich bei den meisten Menschen – Betroffenen und Begleitenden – natürlicherweise ein Innehalten ein. Das griechische Wort Krisis meint Scheiden – also eine Situation der Unter-Scheidung. Karl Jaspers spricht von Grenzsituationen, die die Chance der «Existenzerhellung» in sich tragen. Ich stosse an die Grenzen meines bisherigen Welt- und Lebensverständnisses: und vielleicht noch mehr meines Lebensgefühls. Die Endlichkeit und Nicht-Machbarkeit, die Unverfügbarkeit wird mir deutlich. Mein Mensch-Sein, nicht Gott-Sein. Im Modul «Spirituelle Biografie» werde ich kreative Methoden wählen, etwa szenisches Darstellen, so dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diese «Haltung» auch körperlich spüren können.

Wir leben in einem säkularen Umfeld und sind nicht gewohnt, über Spiritualität und Glauben zu reden. Wie finden die Teilnehmenden eine Sprache für Spiritualität?

Sogar in religiösen Sozialisationen sind wir nicht gewohnt, über unsere Spiritualität zu sprechen. Dafür können wir gut etwa über Glaubenssätze reden. Da gefällt mir der sehr weite Ansatz von Spiritual Care, der «Spiritualität» als Containerbegriff verwendet. So kann die simple Frage «Was sind Ihre Kraftquellen?» ein guter Einstieg sein, um mit vielen Patienten ins Gespräch zu kommen. Auch Themen wie «Wann hatten Sie zuletzt Mitgefühl für jemanden oder waren betroffen von dem, was geschah?» sind Ankerpunkte für das Transzendente im elementaren Sinn: für das, was über mein enges Ich hinausgeht. Spiritualität – das, was uns heilig ist - ist ein sehr intimes Thema. Hier ist eine grosse Sensibilität nötig. Der Lehrgang bietet die Chance, in unterschiedlichen Settings zu üben, wie wir miteinander reden können. So erfahren die Teilnehmenden auch, was es mit einem macht, wenn man zu diesen Themen befragt wird, und entwickeln ein Gespür für die Rahmenbedingungen, die es dazu braucht.

Was prägt das Spannungsfeld zwischen Gesundheitswesen und Religionen besonders?

Niklas Luhmann hat von unterschiedlichen Systemlogiken gesprochen: der binäre Code in der Medizin von «gesund – krank», der sich sehr verbunden hat mit dem der Ökonomie: «rentabel – unrentabel», versus den Code der Religion: «immanent – transzendent». Spiritual Care findet an der Grenze zwischen diesen Logiken statt.
Schaut man auf die Religiosität bzw. Spiritualität der Mitarbeitenden, so entdeckt man oft ein großes spirituell-religiöses Interesse. Viele erleben ihren Beruf als «Berufung».  Hier ergibt sich ein Spannungsfeld zur «Säkularität» des Gesundheitswesens und zum medizinisch-technischen Paradigma. Die eigene Spiritualität bleibt meist privat und wird nicht mit dem professionellen Handeln verbunden – das wird als Grenzüberschreitung empfunden. Und genau hier entstehen Rollenkonflikte. Dies zu reflektieren und Konzepte zu entwickeln ist eine wichtige Aufgabe von Spiritual Care.

Kann man eine «spirituelle Kommunikation» für die gute Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams lernen?

Ja, da bin ich überzeugt. Es geht darum, das Thema aus der Tabuisierung und Privatisierung herauszunehmen und gleichzeitig nicht zu missionieren:  hin zu einem «aufgeklärtem Respekt», so die Formulierung meiner Freundin Adelheid Fiedler.  Der Lehrgang selber ist ja auch ein multiprofessionelles Umfeld, das den Austausch ermöglicht und wo sich gut üben lässt.
Über die Kommunikation hinaus können auch Rituale eine grosse Hilfe sein, um im Team anhaltende Belastungen im Umgang mit Sterben und Tod aushalten zu können: sie stärken den Einzelnen und synergetisch das ganze Team, so die oft zitierte brennende Kerze oder ein Hoffnungs- und Trauerbuch im Hospiz und auf Palliativstationen.

Wie verändert sich die Sicht der Kursteilnehmenden auf Spiritual Care im Verlauf des Lehrgangs?

Ich denke, das wird sehr individuell sein, abhängig vom Vorwissen und eigenen Erfahrungsfeld. Wichtig ist sicher die Erkenntnis, dass es in Spiritual Care um die Patient*innen geht, aber genauso um eine spirituelle Selbstsorge. Dann die Einsicht, dass es hilfreiche Methoden und Instrumente gibt, die die Einzelnen stärken, dass das wichtigste «Instrument» aber immer die eigene Person ist: ich selbst mit meiner Haltung.

 

Prof. Dr. Lydia Maidl ist Theologin mit Forschungsschwerpunkt Spiritualität und Spiritual Care. Aktuell forscht sie zu religiösen und spirituellen Ressourcen in der Traumaverarbeitung, besonders nach Flucht und Migration, wo sie auch einen Online-Kurs im Rahmen der Virtuellen Hochschule Bayern entwickelt hat. Zum anderen beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Spiritual Care, besonders als transreligiöse Kompetenz, für unser Bildungssystem wichtig ist im Interesse der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Sie ist tätig an der Ludwig-Maximilians-Universität in München sowie an der Hochschule für Philosophie München und am Institut für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung der Katholischen Hochschule Freiburg im Breisgau.

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