16.07.2019 08:55
von Sabrina Durante

Ein Erfahrungsbericht

Ikebana - unterwegs auf dem Blumenweg

«Ka-do», der Blumenweg, ist eine Zen-Kunst wie Bogenschiessen, Kalligraphie oder die Teezeremonie. Die Ausübung der Zen-künste dient der Vervollkommnung von Körper und Geist und somit des ganzen Menschen. Sie ergänzt die Sitzmeditation, das Zazen, ideal. Die Zen-Künste geben uns ein Übungsfeld, bei dem wir nicht in Gedankenwelten abdriften können, sondern Augenblick für Augenblick mit der Realität konfrontiert werden.

Seinen Ursprung hat Ikebana in den Blumenopfern, die Mönche in antiken Zeiten in Tempeln darbrachten. Hieraus haben sich dann die Formen, Regeln und Stile des Ikebana entwickelt. Die ältesten Niederschriften, die der Ikenobo-Schule, stammen aus der Zeit um das Jahr 1500 – Inzwischen sind über 200 verschiedene Schulen entstanden, jede mit ihrem eigenen typischen Stil.

Der gesamte Kosmos in einem Arrangement

Wie man sich vorstellen kann, ist es mit «Blumen schön arrangieren» bei dieser Tradition nicht getan. Einfachheit, Klarheit und Asymmetrie spielen eine grosse Rolle. Nicht die Fülle der Blumen zählt, wie bei unseren Sträussen, sondern auch der leere Raum und die Linien, welche durch Asymmetrie sichtbar werden. Im Zentrum steht nicht nur die Blüte, sondern die ganze Pflanze mit ihren Eigenheiten. Die traditionellen Ikebana-Formen bestehen immer aus drei Elementen: Himmel – das längste Element, Mensch – das zweitstärkste Element und Erde – das kleinste Element. Diese Elemente haben je eine genau vorgeschriebene Länge, Neigung, Fussposition und Richtung. Ein klassisches Ikebana-Arrangement symbolisiert so den ganzen Kosmos, in dem Himmel, Mensch und Erde verbunden sind.

Inzwischen gibt es aber auch moderne Formen, den sogenannten Freistil, der fast keine Regeln kennt und dem modernen Lebensstil angepasst ist. So konnten wir z.B. in dem Kurs eine ganz neue Form der Misho Schule kennenlernen, Arrangements in transparenten Glasgefässen, teilweise schwimmend unter Wasser.

Würdevoller, meditativer Rahmen

Ich besuche seit über zehn Jahren regelmässig Kurse der Ikenobo-Schule an meinem Wohnort und war auch schon in Kyoto in der Zentralschule. Nun wollte ich zur Abwechslung eine andere Schule kennenlernen und habe die Gelegenheit genutzt im Lassalle-Haus einen Kurs zu besuchen, der von zwei Lehrerinnen aus verschiedenen Ikebana-Schulen geleitet wurde. Der Kurs fand in der wunderschön renovierten «Alten Villa» und damit in einem würdevollen, meditativen Rahmen, auf dem Gelände des Lassalle-Hauses statt. Wir hatten zwei Arbeitsräume für die zwei Gruppen und einen Vortragsraum zur Verfügung. Martha Bachmann von der Adachi-Schule und Regula Meier von der Misho-Schule haben am ersten Abend jeweils ihre Königsdisziplinen gezeigt. Die Adachi-Schule: attraktive Linien in der hohen Vase, Gestaltung mit Linien als Fläche und ein modernes Arrangement im freien Stil.  Die Misho-Schule ein traditionelles dreiteiliges Kakubana und ein modernes Arrangement mit dem Thema Fläche und Linien. Dabei habe ich sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulen entdecken können.

Den Meister kopieren

Ikebana Kurse sind klassischerweise so aufgebaut: Die Kursleiterin führt erst ein Arrangement ohne viele Erklärungen vor. Hier merkt man, es geht nicht nur um die Technik, sondern auch um die Haltung. Die Schüler beobachten genau wie was gemacht wird, dann erläutert die Meisterin die Theorie dazu. Danach versucht der Schüler, die Schülerin das Arrangement nachzumachen. Im Ikebana lernt man zuerst, die Meister zu kopieren – erst wenn das erreicht ist, kann man sich daran machen, einen eigenen Ausdruck zu finden.


Im Kurs hatten alle Teilnehmer die gleichen Materialien zur Verfügung, wenn das Arrangement korrigiert war konnte man es fotografieren. Nach jeder Lektion hat die Lehrerin den Raum gewechselt, so dass alle Teilnehmer die gleichen Formen lernen konnten. Am Ende hatten jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer mindestens vier Arrangements gestaltet, und so ergab sich eine kleine Ausstellung. Obwohl alle das Gleiche gemacht haben, hatte jedes Arrangement seine eigene Ausstrahlung – man bringt eben immer auch seine Persönlichkeit in die Kreation mit ein.

Anderes Naturverständnis

Obwohl der Kurs nicht im Schweigen war, herrschte während des Arbeitens eine Atmosphäre von Ruhe, Disziplin und Konzentration, das war sehr schön. Die Gruppe war vom Niveau her gut durchmischt, Anfängerinnen und Andere, die bereits Ikebana-Erfahrung mitbrachten. Am Morgen und am Abend war zudem die Möglichkeit bei der Hausgruppe im Haupthaus an der Sitzmeditation teilzunehmen. Am Schluss des Kurses wurde gemeinsam aufgeräumt, das gehört unbedingt zur Ikebana Philosophie dazu.

An den Abenden und zwischendurch wurden in Vorträgen die Besonderheiten der verschiedenen Schulen vorgestellt. Es wurde ein Film über das Naturverständnis in der japanischen Blumenkunst und verschiedene Dias von diversen Ikebana-Arrangements gezeigt. Auch gab es Informationen über die verschiedenen Ikebana Verbände.  Bei einem Spaziergang im Park lernten wir, welche Zweige gut für Ikebana geeignet sind und wie man sie am besten schneidet.  Beim Mittagessen haben wir uns viel über Japan unterhalten – eine Kursleiterin hat viele Jahre in Japan gelebt und hatte einiges über die Kultur zu erzählen. Die Kursleiterinnen hatten auch Literatur über Ikebana zum Anschauen und zum Kaufen mitgebracht. Für Anfänger, die noch keine eigenen Gefässe, Steckigel, Scheren usw. hatten war die Möglichkeit gegeben, alles auszuborgen, oder auch zu kaufen. Insgesamt war es ein sehr angenehmer, lehrreicher Kurs, den ich jederzeit wieder besuchen würde.

Eine Übung der Achtsamkeit

Ikebana ist ein Weg, das Üben geht immer weiter. Es ist auch ein Spiegel, in dem sich der momentane Geisteszustand offenbart. In den Anfängen machten die Samurai vor der Schlacht Ikebana, um sich zu fokussieren. Seit ich Ikebana praktiziere, bin ich ruhiger und gelassener geworden. Ich war schon immer gerne in der Natur, jetzt sehe ich aber Blumen und Pflanzen noch mit anderen Augen. So fällt mir beim Spazieren im Wald die Wuchsrichtung eines Zweiges auf, oder einzelne Pflanzen mit ihrer Form und ihrem besonderen Ausdruck. So weit wie im untenstehenden Gedicht bin ich aber noch lange nicht, dahin ist noch ein sehr langer Weg.

Blumen sind ein Spiegel,
ich betrachte die Blume.
Die Blume betrachtet mich.
Ich – zur Blume geworden –
schaue mich an.

 

Kunigunda F.

 

Ikebana-Angebot im Lassalle-Haus

 

 

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